Russland

Bloggen gegen Willlkür und Korruption

Anton Nossiks Handy vibriert beinahe im Minutentakt. Ständig gehen neue Kommentare ein zum aktuellen Eintrag in seinem Blog. Nossik, einer der bekanntesten russischen Blogger, hat sich skeptisch zur aktuellen Kampagne der russischen Opposition geäußert, die den Rücktritt von Premierminister Putin fordert. Nossiks Meinung hat Gewicht, denn der populäre Blogger gehört zu den Pionieren des russischsprachigen Internets. Seit über zehn Jahren betreibt der 43-Jährige sein Weblog. Außerdem entwickelte der Online-Journalist einige der führenden Nachrichten-Webseiten Russlands.

Scharf verurteilt hat er in seinem Blog auch die Vorkommnisse um einen Autounfall Ende Februar in Moskau, an dem der Vizepräsident des Erdölkonzerns Lukoil, Anatolij Barkow, beteiligt war. Zwei Frauen starben, die Polizei erklärte sie trotz gegenteiliger Zeugenaussagen zu den Schuldigen. Videoaufnahmen, die zur Aufklärung hätten beitragen können, verschwanden. Blogger griffen den Fall auf und suchten weitere Zeugen. Schließlich schaltete sich Präsident Medwedew in die Ermittlungen ein. Für Anton Nossik ein Zeichen, „dass die Menschen in Russland mutiger werden, gegen Unrecht aufzubegehren“.

Die Macht der Blogger hat Nossik bisher besonders beim Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption gespürt. Zum Beispiel bei der Vergabe von staatlichen Aufträgen an Privatunternehmen. „Der russische Staat muss öffentliche Aufträge auf einer offiziellen Internetseite ausschreiben. Aber die Beamten wollen natürlich keinen Wettbewerb, sondern, dass der Auftrag an denjenigen geht, der sie besticht“, erklärt Nossik. „Deshalb haben sie in den Texten einzelne kyrillische Buchstaben durch lateinische ersetzt, damit man die Ausschreibung bei der Internetsuche nicht findet.“ Blogger machten diese Manipulationen öffentlich, erst dann griffen offizielle Medien das Thema auf. Inzwischen wurden die Bestimmungen verschärft, einige Verantwortliche bestraft und Aufträge nocheinmal neu ausgeschrieben. „Die gingen dann an Unternehmen, die bei der ersten Ausschreibung nicht dabei waren, weil sie nichts davon wussten“, so Nossik.

Rund eine halbe Million Blogger gibt es in Russland, statistisch gesehen einen auf rund 300 Einwohner. Weit weniger als etwa in Deutschland, doch die russischen Blogger sind rund dreimal so produktiv wie ihre westlichen Kollegen. „Es gibt sehr große Hoffnungen, dass sich die Blogosphäre zu einem alternativen Massenmedium entwickelt“, sagt Ljudmila Fadeewa. Sie ist Professorin für Politologie an der Universität Perm und eine der ersten, die sich wissenschaftlich mit dieser Szene beschäftigen. „Aber wie realistisch diese Hoffnungen sind, ist noch schwer zu sagen, weil sich die meisten Blogger nicht-gesellschaftlichen, nicht-politischen Themen widmen.“

Nur etwa zehn Prozent der russischen Blogger beschäftigen sich mit politischen Fragen. Aber die beziehen umso klarer Position. Wie zum Beispiel die Kommentare zu Medwedews Offenem Brief „Vorwärts, Russland!“ zeigen, mit dem der Präsident im Herbst letzten Jahres in einer Internet-Zeitung eine Modernisierung von Gesellschaft und Wirtschaft angemahnt hat. „Einige kritisieren diesen Brief sehr scharf, sprechen von Demagogie, Verlautbarungen und Geschwätz. Davon, dass der durchschnittliche russische Bürger angesichts solcher Äußerungen des Staates nur Ohnmacht und Sorge um sein Land empfinde. In den meisten offiziellen Medien könnte man so etwas nicht schreiben“, meint Fadeewa.

Gänzlich frei ist in Russland allerdings auch das Internet nicht. Provider müssen dem Inlandsgeheimdienst FSB Zugriff auf alle Daten gewähren. Immer wieder werden Überlegungen der Regierung publik, das Internet stärker zu kontrollieren. Auch gab es bereits einzelne Urteile gegen Blogger. Doch Anton Nossik macht sich keine Sorgen: „Ich sehe keine Beispiele, dass jemand ernsthaft gelitten hätte für das, was er schreibt; dass er getötet worden wäre, entführt oder ins Gefängnis gesteckt. Wir leben eben doch weder in China noch im Iran.“

Das größte Hindernis für eine alternative Öffentlichkeit im russischen Internet sieht Blog-Forscherin Ljudmila Fadeewa momentan im Zugang dazu. Denn rund 95 Prozent der Nutzer leben in den wenigen großen Ballungszentren wie Moskau oder St. Petersburg. Im Rest des weiten Landes kostet ein Internetanschluss oft ein ganzes Monatseinkommen.

Doch Anton Nossik hofft, dass sich das Internet trotzdem weiter so rasant verbreitet wie in den vergangenen Jahren und die Macht der Blogosphäre weiter wächst: „Viele Prozesse werden transparenter. Wenn eine Geschichte, die im Geheimen abläuft, plötzlich öffentlich wird, wenn die Leute anfangen, darüber sprechen, und die Zeitungen, darüber zu schreiben, dann haben Blogs einen Einfluss, auch auf das Bewusstsein der Leute.“ Nosik und Fadeewa setzen darauf, dass solche Erfahrungen langfristig über die Blogosphäre hinaus wirken – auf die Demokratisierung der Gesellschaft und damit letztlich auch auf die Pressefreiheit.


Anton Nossik ist Chefredakteur des Online-Wirtschaftsmagazins bfm.ru. Seit 1995 beschäftigt er sich mit dem Internet, er entwickelte Nachrichten-Sites wie gazeta.ru, lenta.ru, tv.ru u.a. Darüber hinaus betreibt er die Internet-Stiftung pomogi.org. 2006 war er an der Gründung der Online-Medien-Holding SUP beteiligt, die den russischen Anteil des Blogportals LiveJournal besitzt. Seit Dezember 1996 hat er ein eigenes Blog. Anton Nossiks Profil auf Livejournal.com.


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